Schwarze Kacheln und weiße Verantwortung
Sich an einer Social Media Aktion wie #blackouttuesday zu beteiligen, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, ist sicherlich erst einmal gut und kann helfen, ein Spotlight auf eine Problematik zu werfen, die sonst vielleicht weniger Betrachtung finden würde. Deshalb habe auch ich mich letzte Woche daran beteiligt, aber seither auch intensiver reflektiert. Denn es reicht in meinen Augen nicht, wenn man danach einfach weitermacht wie zuvor. Nachhaltige Aufmerksamkeit und Veränderung des Status Quo durch eine solche Aktion können nur dann erfolgen, wenn sie durch ergebnisorientierte Handlungen vollendet wird. Das Thema Rassismus ist viel zu wichtig, viel zu dringend und viel zu weitreichend, um nach einiger Zeit einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, spätestens dann, wenn jene Hashtags weniger werden und der Schwerpunkt der Berichterstattung wieder auf anderen Themen liegt.
Mit zunehmendem Alter wird mir immer bewusster, dass ich selbst Teil einer Gesellschaft bin, in der systemischer Rassismus an der Tagesordnung ist. Als privilegierter Mensch aufgrund meiner weißen Hautfarbe stehe ich also massiv in der Verantwortung, mich ständig von neuem zu hinterfragen, ob mein Teil, den ich zu einer offenen Gesellschaft ohne Rassismus beitrage, tatsächlich immer ausreichend ist. Gerade als weiße Menschen müssen wir mehr tun, als schwarze Kacheln mit passenden Hashtags zu posten und die grundlegenden Regeln des Anstands zu beherrschen, wenn wir unserem damit verbundenen Anspruch gerecht werden wollen, uns konsequent gegen Rassismus zu stellen. Wenn wir nicht nur nicht rassistisch, sondern antirassistisch sein wollen.
Um nicht direkt der drohenden Ohnmacht darüber zu erliegen, als nur einer von Milliarden Menschen auf diesem Planeten ja eigentlich gar nichts verändern zu können, kann man dabei auch erst einmal „klein“ beginnen. Man muss nicht gleich eine Demo organisieren oder eine Stiftung gründen, um an echtem Wandel mitzuwirken. Fortschritt beginnt im Kopf, im alltäglichen Leben, wenn wir zuerst einmal vor der eigenen Tür kehren und uns fragen, ob wir wirklich genug wissen. Über unsere Geschichte, über uns selbst, über unsere Privilegien und über die Missstände, die selbige kaschieren. Ob wir wirklich lange und oft genug zuhören und uns hierfür selbst zurückzunehmen können. Denn wir Privilegierten sollten dabei nicht im Mittelpunkt stehen, sondern der Schmerz und das Leid derer, die tagtäglich unter systemischem Rassismus leiden.
Ein Anfang, wirklich etwas zur Veränderung beizutragen, wäre daher z.B. sich tiefergehend(er) zu informieren. Und zwar über die Sichtweisen und Erfahrungen von Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe unterdrückt, diffamiert, ausgegrenzt und oftmals auch schlichtweg mit dem Leben bedroht werden. Die sich immer wieder übersehen und unwohl in ihrem Alltag fühlen, die Angst haben. Wir können ihnen zuhören, ihre Zeilen lesen, ihnen eine Stimme geben und soviel wie möglich von ihnen lernen und das Gelernte teilen.
Es gibt eine ganze Reihe bemerkenswert engagierter Menschen, die uns dabei helfen können, unseren Horizont diesbezüglich zu erweitern, wie z.B. Tupoka Ogette, Alice Hasters, Mo Asumang, Malcolm Ohanwe, Tyron Ricketts und Roger Rekless.
Zudem kann man antirassistische Organisationen unterstützen, wie z.B. die Amadeu Antonio Stiftung, Amnesty International oder Sea-Watch. Jede Aufmerksamkeit, jedes Einbringen, jeder Euro an Spenden, kann greifbare Veränderungen und größeren Handlungsspielraum dieser Stiftungen im Kampf gegen Rassismus ermöglichen.
Antirassistisch zu sein bedeutet achtsame Zuwendung und umfassende Arbeit an uns selbst. Letztere sollten wir als weiße Mehrheitsgesellschaft dringend angehen.